Heimat

Bild: Karsten Paulick, pixabay.com
In Zeiten, wo Selbstoptimierung und Nachhaltigkeit das Denken dominieren, erinnern sich die Menschen heute wieder des Wertes eines alten regionalen Lebensmittels: So ein Apfel ist gesundes Obst aus der Heimat.
Eine Streuobstwiese, auf der noch die alten, ausdrucksstarken Apfelsorten wachsen dürfen, erinnert an die Zeiten, als in der Landschaft noch Raum war für Diversität und Bauern noch nicht für Landschaftspflege bezahlt wurden, sondern diese einfach machten. Gärten und Felder sicherten das Leben, ohne einer maßlosen Ertragsmaximierung ausgesetzt zu sein. Es bedurfte noch keiner EU-Verordnung, um Flächen zu schonen und sich selbst zu überlassen. Die Vielfalt der Sorten, ihrer Geschmäcke, Konsistenzen, Erntezeiten und Lagermöglichkeiten garantierten, dass der wertvolle Vitaminlieferant auch ohne Vergasung und globalen Transport zur Verfügung stand. Freilich nicht im Überfluss.
Da, wo ich herkomme, am Rande des Oberpfälzer Waldes, prägen Obstbäume eher nicht die Landschaft. Dennoch wecken Streuobstwiesen in mir ein Heimatgefühl und ich erinnere mich an Ferien der Kindheit an Main und Bodensee. Heimat ist also keine Herkunftsangabe, sie ist ein Sehnsuchtsort, an dem sich die Seele findet. Als ich auf der Suche nach einem Platz für die letzte Heimat vom Friedwald Heiligenberg hinunter Richtung Bodensee fuhr, spürte ich: Ein Genussmensch wie ich sollte besser unter einem Apfelbaum auf einer Streuobstwiese begraben liegen. Unter dem sich Familie und Freunde gelegentlich treffen, um bei einem Glas Calvados auf mich anzustoßen.
Und noch etwas können wir vom Apfel über Heimat lernen: Das urdeutsche Obst kommt aus Asien. Vor rund 12000 Jahren wurde der Apfel bereits im heutigen Kasachstan angebaut. Über alte Handelsstraßen gelangte er dann nach Süd- und Osteuropa, wo er von den Römern und Griechen kultiviert wurde. Und dann irgendwann zu uns.
Natürlich hat sich der Apfel dabei verändert. Er ist größer geworden, süßer, gefälliger. Aber die wilde Kraft seiner Herkunft steckt sicher noch in seinen Genen. Was passiert, wenn man es mit der Anpassung übertreibt, kann man heute allerdings in der Obstabteilung der Supermärkte verkosten.
Der Apfel, dieses regionale Obst, ist ein Immigrant. So wie wir Menschen, die wir alle aus Afrika kommen – manche früher, manche heute. Wir müssen nur weit genug zurückgehen in unserem Stammbaum.
Wir würden den Apfel vermissen, wenn er nicht in unserer Speisekammer läge. Was wäre da überhaupt zu finden, wenn es seine Herkunft nachweisen müsste? Vielfalt bereichert und Einwanderung erneuert.
Unsere alten Apfelsorten tragen wohlklingende deutsche Namen: Gravensteiner, Goldparmäne, Alkmene, Boskoop, Jakob Fischer oder Glockenapfel, um nur einige zu nennen. Wer weiß, vielleicht heißt der Enkel von Herrn Özgül einmal Peter und Samira hält jeder für einen einheimischen Vornamen. Hoffen wir, dass dann andere fremde Namen eine neue Heimat unter uns suchen!
Die beiden schönsten Dinge sind die Heimat, aus der wir stammen,
und die Heimat, nach der wir wandern.
Johann Heinrich Jung-Stilling