Bewahren

Bild: Roy Buri, pixabay.com

Der Bauer unseres Vertrauens hat das Schweinderl, natürlich eine alte Haustierrasse, liebevoll unter unserer Aufsicht aufgezogen – und, als es die Schlachtreife erreicht hat, das Unausweichliche getan. Wir sprechen lieber nicht drüber, sonst vergeht uns der Appetit. Gott sei Dank haben wir darauf verzichtet, ihm einen Namen zu geben.

Was tue ich nun mit dem ganzen Schwein? Gut, dass der Mensch über die Jahrhunderte hinweg Methoden entwickelt hat, Lebensmittel zu konservieren. Und bei dem Gedanken an ein auf Buchenholz Geräuchertes, an Griebenschmalz und Sauerfleisch läuft mir das Wasser im Mund zusammen.

Konservativ handeln heißt, die Dinge, die uns wertvoll sind, zu bewahren. Doch, so paradox es klingen mag: Soll das Bewahren gelingen, muss man bereit sein zur Veränderung.

Und es muss die richtige Methode gefunden werden. Packt man das Schweinefleisch einfach in den Gefrierschrank, zieht es Wasser und verliert seine Struktur. Aufgetaut, wird es mich in der Pfanne schmerzhaft an meine mangelnde Sorgfalt erinnern – und ich werde mich fragen, ob das das Schwein verdient hat.

Halten wir starr an einer bestimmten Gestalt unserer Werte fest, dann droht auch ihnen der Verlust ihrer Bindekraft. Sie müssen sich entwickeln können und brauchen dazu neue Impulse von außen – so wie mein Schweinderl das Salz, den Rauch und den Essig. Gelingt das Konservieren, so steigt der Genuss – und der Wert.

Und so können auch Werte wachsen, wenn es uns gelingt, ihnen eine Entwicklung zu geben. Wir erleben sie frisch, kraftvoll, radikal und weise, gehaltvoll und krisenerprobt zugleich.

Wir brauchen dazu den Mut zur Veränderung und ein Vertrauen in die lebendige Kraft dieser Werte. Das können wir doch wagen, oder? Wären es sonst Werte?

Wer nichts verändern will, wird auch das verlieren, was er bewahren möchte.

Gustav Heinemann