Ebenbild

Gott schuf also den Menschen als sein Abbild; als Abbild Gottes schuf er ihn. Gen 1,27

Anders als der Humanismus sagt das Christentum: Der Mensch ist nicht perfekt und muss es auch nicht sein. Menschen mit einer Behinderung wären in ihrem vollen Menschsein sonst infrage gestellt. Und jeder von uns mit ihnen. Wahr ist: In ihnen wird das Menschsein auf heilsame Weise sichtbar. Das christliche Menschenbild ist ein inklusives.

Inklusion setzt die Anerkennung von Heterogenität voraus. Verschiedenheit ist normal. Wir alle sind verschieden. Schon die Menschen, die wir behindert nennen, unterscheiden sich in der Art ihrer Behinderung. Manche haben sie geerbt, andere mit der Geburt oder aber erst im späteren Leben erworben. Auch ihr Leben hat verschiedenste Themen, Behinderung ist nur eines davon. Doch sie weichen in unserer Wahrnehmung vom gewohnten Menschsein ab. Sie wirken auf uns ungewohnt und ungewöhnlich.

Dieses ungewohnt Verschiedene ist kein Schaden. Die Verschiedenheit ist von Anfang an gottgewollt und gottgemäß. Gott hat konkrete Menschen geschaffen und tut es jeden Tag neu. Wenn wir den ersten Schöpfungsbericht ernst nehmen, dann sind wir alle das Ebenbild Gottes. So, wie wir sind. Also auch so verschieden, wie wir sind. Mit unseren Einschränkungen und Behinderungen. Auch weil in jeder Behinderung auch eine Begabung verborgen ist.

Wenn wir Ebenbilder Gottes sind, dann zeigt sich Gott in uns. Jeder Mensch lebt eine eigene Form der Gottesbeziehung, so dass in jedem Menschen sich Gott ein Stück anders offenbart. In der Vielfalt der Annäherungen kommen wir Gottes Unendlichkeit am nächsten.

Im Film „Am Achten Tag“ von Jaco van Darmael fragt sich Gott am Ende seines Sieben-Tage-Werkes, ob nichts fehle. „Am achten Tag machte er George [einen jungen Mann mit Down-Syndrom]. Und er sah, dass es gut war.“ Denn auch – und vielleicht gerade – in George wird Gott sichtbar.

Du sollst dir kein Gottesbild machen und keine Darstellung von irgendetwas am Himmel droben, auf der Erde unten oder im Wasser unter der Erde. Ex 20,4

Gott kann man nicht in Bildern fassen. Dann aber gilt analog das Bilderverbot in Ex 20,4 auch für den Menschen: Wenn ich mir von Gott kein Bild machen darf, dann auch nicht von seinem Ebenbild, dem Menschen. Das Bilderverbot bedeutet auch einen Verzicht auf ein Menschenbild.

Die Gottebenbildlichkeit des Menschen, sie macht ihn unverfügbar, schützt ihn vor jeder Form der Festlegung durch Definition oder Diagnose. Wenn auch Menschenbilder inklusiv sein müssen, gibt es eigentlich keine mehr – oder so viele, wie es Menschen gibt.

Behinderte Menschen erinnern und ermahnen uns mit ihrer ungewohnt-ungewöhnlichen Art in jeder Begegnung daran.

Es ist bemerkenswert, dass wir gerade von dem Menschen, den wir lieben, am mindesten aussagen können, wie er sei. Wir lieben ihn einfach. Eben darin besteht ja die Liebe, das Wunderbare an der Liebe, dass sie uns in der Schwebe des Lebendigen hält, in der Bereitschaft, einem Menschen zu folgen in allen seinen möglichen Entfaltungen. Wir wissen, dass jeder Mensch, wenn man ihn liebt, sich wie verwandelt fühlt, wie entfaltet, und dass auch dem Liebenden sich alles entfaltet, das Nächste, das lange Bekannte. Vieles sieht er wie zum ersten Male. Die Liebe befreit es aus jeglichem Bildnis. Max Frisch